selten enthebt uns etwas der schwerkraft […] wir fallen dem erdkern zu, sind grenzfälle des raumes.
Der Mensch ist ein grenzfall, einer, der an die Grenzen seiner Existenz kommt und sich selber und anderen zur Grenze wird; einer, der möglicherweise hinüber gehen und sich von der Schwere des Daseins lösen will; der in der Selbstüberschreitung nach geistigen Erlebnissen sucht. Die in dem Sprechstück versammelten Dichter sind auf der Suche nach diesen Grenzen, sie sehnen sich nach einem sprung darüber und machen sätze, in denen sie Grenzsituationen schreibend erkunden. Gibt es ihn wirklich, diesen anderen, geistigen Raum? Oder ist er nur ein Ersatzlabyrinth? Das Sprechstück beginnt mit dem dunklen Chaos einander widerstreitender Kräfte in den unbegrenzten Breiten/ Unsrer alten Mutter Nacht; es spricht von dem schöpferischen Moment, in dem Ideen aufblitzen und etwas Gestalt annehmen soll. Im zweiten Teil werden Zeit und Raum erobert, die Grenzen erahnt und aufgehoben: Um dieses Land mit Klängen/ ganz zu erfüllen,/ stieß ich ins Horn,/ willens im kommenden Wind/ und unter wehenden Halmen/ jeder Herkunft zu leben!
Der dritte Teil richtet den Blick nach innen: Dann trat ich zurück […],/ um mich zu betrachten. Die Selbsterfahrung und Selbstbegegnung steigert sich im vierten Teil zur Konfrontation mit der Angst, dem Schattenhaften, dem Tod und verdichtet sich so zum Schwellenerlebnis einer moralischen Prüfung, die,
ins Kosmische geweitet, erste Momente einer inneren Verwandlung aufleuchten lässt: Ich trete in ein Bad aus Kristall/ ich bin ein Körper im Reinzustand/ alles, was ein Lebewesen ausmacht/ zerrinnt in der aufrichtigen Luft. Um eben diese Verwandlung durch ein geistiges Erlebnis, um die Verbindung zwischen Irdischem und Himmlischen, zwischen Gott und Mensch geht es schließlich im fünften Teil des Sprechstücks, wenn es heißt: Nah ist/ und schwer zu fassen der Gott./ Wo aber Gefahr ist, wächst/ Das Rettende auch/ […] So gib unschuldig Wasser,/ O Fittige gib uns, treuesten Sinns/ Hinüberzugehn und wiederzukehren. Die Sprechakte sind Suchfragmente, Schlaglichter auf grenzfälle, die Auskunft darüber geben, was die zum größten Teil zeitgenössischen Dichter so umtreibt; sie sind Anstöße, im Zuschauen und Zuhören die Teile zu einem Ganzen zu fügen, das die Dimension dieser Suchbewegungen transparent macht.
Mona Doosry